- Objektbezeichnung:
- Die Anbetung der Hirten
- Sonstige Objektbezeichnung / Objekttitel:
- The Adoration of the Shepherds
- Name des Standorts:
- Kunstsammlung der Universität
- Inventarnummer:
- D 4306
- Sammlung:
- Academisches Museum
Grafische Sammlung / Kupferstichkabinett
- Zitierlink:
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- LIDO-XML:
- record_kuniweb_1314094
- IIIF:
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- Objektgattung:
- Grafik
- Oberbegriffsdatei:
- Grafik, Fotografie > Druckgrafik > Tiefdruck > Kupferstich
- Hessische Systematik:
- Bildwerke/Bildende Kunst > Zeichnung/Grafik
- Schlagworte:
- Anbetung der Hirten
Kerze
Christkind
- Iconclass:
- die Anbetung des Christuskindes durch die Hirten (im Beisein Marias und Josephs)
- Beschreibung:
- DIE ANBETUNG DER HIRTEN UNTER MITWIRKUNG VON JACOB MATHAM ca. 1599
21.1 | Die Anbetung der Hirten Kupferstich, 205 x 155 mm (Blatt) / 215 x 156 mm (Platte) Zustand III/VI Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. D 4306
21.2 | Die Anbetung der Hirten Kupferstich, 308 x 246 mm (Blatt) / 215 x 156 mm (Platte) Zustand VI/VI Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. D 4307
Bez. o. M.: Cum privil[egio]. S[errenissim]a[e]. Cae[saris]. M[aiesta]tis / HGoltzius Fecit / I. Matham exud[it]. / [dat. im letzten Zustand:] 1615.
Die Szene der Anbetung der Hirten auf Hendrick Goltzius’ unvollendeten Kupferstichen scheint vom Licht einer Kerze beleuchtet, die Josef in den leeren Bildraum hält. Die Hirten bestaunen die wundersame Erscheinung des Christuskindes, das für den Betrachter jedoch unsichtbar bleibt. Ausgestaltet sind nur die Reaktionen Marias und der Hirten auf das Kind. Die Lichtregie macht deutlich, dass das Christuskind als lumen mundi (Joh 8,12) – als Licht der Welt – einen göttlichen Schein aussenden sollte, dem das weiße Papier sehr gut entspricht. Marias Antlitz ist wegen der feinen Gesichtszüge heller als die Köpfe der anderen Figuren wiedergegeben, die mit stärkeren Licht- und Schatteneffekten modelliert sind. Die bogenförmige Komposition der Köpfe wird vom hellen Blattton elegant gerahmt und lässt die Figuren plastisch hervortreten – im Unterschied zu anderen Stichen, deren Hintergründe größerenteils durch Grautöne verschiedener Linienmuster gebildet werden. Die hier präsentierten Blätter sind spätere Zustände der Druckplatte, die Goltzius kurz vor seiner Zuwendung zur Malerei um 1600 stach. Sein Stiefsohn Jacob Matham (1571–1631) fügte skizzenhaft das Christuskind und die zum Gebet gefalteten Hände des vorderen Hirten hinzu, um die Szene verständlicher zu machen (Kat. 21.1). Im letzten Zustand (Kat. 21.2) polierte Matham seine Ergänzungen von der Druckplatte, nachdem er zuvor die Jahreszahl »1615« hinzugefügt hatte, wahrscheinlich um zu verdeutlichen, dass dies das Aus sehen der Platte vor dem Tod von Goltzius 1617 darstellte. Dass Matham die Druckplatte nur leicht bearbeitete, anstatt sie ganz zu Ende zu stechen, und später seine Spuren auf der Platte auslöschte, ist für die Zeit sehr ungewöhnlich. »Unfertige«, angefangene Bildentwürfe wurden in der Zeit nicht geschätzt und häufig von anderen Stechern vollendet. Nur bei herausragenden Künstlern wie etwa Andrea Mantegna (1431–1506) und Albrecht Dürer (1471–1528) sind auch non finite – nicht vollendete – Werke als außergewöhnliche Kunstleistungen verehrt und aufbewahrt worden.(1) Erst mit Rembrandt (1606–1669) änderte sich diese Sichtweise grundlegend und führte zu einer Neubewertung des non finito. Heute ist die Forschung besonders an solch bewusst unvollendeten Werken interessiert, da sie einen Einblick in den Gestaltungsprozess von Druckgraphik und den Arbeitsprozess des Künstlers ermöglichen. Doch war es auch von Goltzius beabsichtigt, dass die Blätter unvollendet veröffentlicht wurden? Dies erscheint nicht sehr wahrscheinlich, wenn man seinen Freund und Biographen Carel van Mander (1548–1606) heranzieht. Ihm zufolge »lässt [Goltzius] seine Arbeiten, so lange sie noch unvollendet sind, nur sehr ungern jemand sehen, während die Vollendeten jeder, der Lust dazu hat, sich ansehen kann« (van Mander 1604, S. 251). Dennoch könnte Matham die Blätter nach dem Tod von Goltzius als Hommage an seinen Meister veröffentlicht haben.(2) Weshalb Goltzius die Arbeit an dem Kupferstich abbrach, lässt sich nicht genau sagen. Vielleicht hatte er lediglich persönliches Interesse an dem Sujet, denn ab 1587 verlegte er viele seiner Drucke selbst und war nicht darauf angewiesen, seine Kompositionen fertigzustellen. Die religiöse Situation in den Niederlanden, in den nördlichen Provinzen überwiegend calvinistisch, doch mit einem immer noch beträchtlichen Anteil altgläubiger Bevölkerung, lässt konfessionsneutrale religiöse Darstellungen sinnvoll erscheinen. In Haarlem hatte sich der Stadtrat 1581 für den neuen Glauben entschieden. Inwieweit Goltzius’ eigene religiöse Überzeugung Einfluss auf seine Druckgraphik hatte und wer genau die Zielgruppe seiner religiösen Blätter und Serien war, ist noch wenig erforscht. Ökonomisch klug handelte der Verleger, der sich mit seinem Programm an alle Konfessionen wandte: Szenen aus der Bibel waren unproblematisch und führten zu keinerlei Spannungen, wie sie zum Beispiel durch den Vertrieb rein katholischer Ikonographie ausgelöst werden konnten. Zudem zielte Goltzius klar auch auf einen internationalen Markt, den er unter anderem über Messen erreichen konnte. Diese Internationalität betont danach auch Matham, der sein vom katholischen Kaiser Matthias (1557–1619) erhaltenes Privileg prominent auf den Blättern platziert. So ist im noch von Goltzius verantworteten Zustand der Komposition nicht erkennbar, ob die Hirten das Christuskind tatsächlich anbeten, da erst Matham die betenden Hände ergänzte, der aber neben der Druckplatte von Goltzius auch eine Skizze des Motivs besessen haben soll. Die Graphik gewinnt so zufällig noch mehr an Überkonfessionalität, denn die Bibelreferenz (Lk 2, 8–20) selbst spricht nur von dem Besuch der Hirten im Stall, ohne ausdrücklich die Anbetung zu erwähnen. Die geringe Größe und die intime Stimmung der Szene, die dadurch verstärkt wird, dass der Betrachter den Bildfiguren besonders nahe kommt, lassen zudem vermuten, dass die Blätter für die private Andacht bestimmt waren. Dass diese mithilfe von Bildern und illustrierten Büchern durchgeführt wurde, befürworteten alle Konfessionen. Goltzius könnte darin durch seinen Lehrer Dirck Volckertsz. Coornhert (1522–1590) beeinflusst worden sein, der dem Toleranzgedanken huldigte und einen christlich geprägten Humanismus in der Tradition des Erasmus von Rotterdam propagierte, der Glauben und Gewissen des Einzelnen ins Zentrum stellte. Ob Coornhert Goltzius tatsächlich in dieser Weise beeinflusste und ob er dem katholischen oder dem reformierten Glauben zugeneigt war oder sich neutral den jeweiligen Gegebenheiten anpasste, wissen wir nicht. ALB (Anna-Lena Brunecker)
1 Das non finito (italienisch: unvollendet) bedeutet in der Kunsttheorie, dass ein Kunstwerk absichtlich unfertig belassen wird, siehe The Dictionary of Art, 1996, Bd. 23, S. 195.
2 Mensger vermutet, dass das große Käuferinteresse nach Goltzius' Tod Matham dazu veranlasst haben könnte, die Platte zu publizieren, vgl. Ausst. Kat. Basel 2016, S. 104. Filedt Kok lieferte 1993 eine Auflistung der durch Matham nach Goltzius' Tod publi - zierten Platten, vgl. Filedt Kok 1993, S. 218, und NHD, S. LXI–LXIII.
21 Lit.: B 21; Hi 15; St 362; NHD 14 // van Mander/Floerke 1906, S. 251; Spaans 1989, S. 298f.; Kok 1993, S. 218; Michalski 1993; Nichols 1993, S. 91; Ausst. Kat. Amsterdam 2003, S. 228; Ausst. Kat. Frankfurt 2004, S. 14–19; Nichols 2013, S. 26, 44f.; Ausst. Kat. Hamburg 2014, S. 36f.; Ausst. Kat. Basel 2016, Nr. 32; Ausst. Kat. Dessau 2017, Nr. IX.10; Pawlak 2017; Wandrey 2018, S. 44, 71 f.
Aust.-Kat. Freiburg 2020, S. 174-177., Anna-Lena Brunecker
Vier Personen gruppieren sich um ein Zentrum, das in wenigen Strichen angedeutet ist. Es handelt sich um die Anbetung der Hirten, wie sie im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums geschrieben steht (Lk. 2,8-18). Der Engel verkündete den Hirten auf dem Feld die Geburt des Heilands: „Heute ist Euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk. 2,11). Sie erreichten Bethlehem, fanden das Kind in der Krippe und beteten es an.
Von den beiden Hirten sind jeweils die Köpfe, von Maria und Josef zusätzlich Teile des Oberkörpers herausgearbeitet. Der Jesusknabe und der Bildvordergrund bleiben in ihrer Kontur skizziert. Maria hält engen Blickkontakt mit ihrem Sohn und betrachtet ihn nachdenklich. Sie wickelt ein Tuch um das nackte Kind, sie weiß schon von der kommenden Passion Christi. Die Hirten betrachten diese Szene. Josef hält eine Licht spendende Kerze. Der schwache Schein läßt die lebhaften Gesichter stark hervortreten. Maria ist in ein helleres Licht getaucht. Sie wird von den göttlichen Strahlen des Kindes erleuchtet.
Da die Darstellung unvollendet geblieben ist, könnte es sich um einen Probedruck handeln. Allerdings verweisen die Zeilen über der Gruppe auf ein herrschaftliches Privileg, das der Herausgeber Jacob Matham (1571-1631) für diesen Druck besessen hat. Matham war der Stiefsohn und einer der ersten Schüler von Hendrick Goltzius. Er gab verschiedene Drucke seines Stiefvaters heraus und besaß anscheinend auch Privilegien dafür. Druckprivilegien waren eine willkommene Auszeichnung für den Verleger und sicherten ihm, meist nur auf kurze Zeit, die Herausgeberschaft. Sie wurden von den jeweiligen Obrigkeiten, Stadträten, Fürsten oder Königen, verliehen. Schon 1512 erhielt Albrecht Dürer in Nürnberg die Befugnis, als einziger seine Drucke in der Stadt verkaufen zu dürfen.
Es existieren verschiedene Abzüge unterschiedlicher Stadien der Darstellung, aber keine vollständig ausgearbeitete. Der dritte Zustand weist unter den Zeilen die Jahreszahl 1615 auf. Dies könnte auf den Entstehungszeitraum hinweisen. In ihm ist allerdings weder Christus noch der Hintergrund angelegt. Bei dem Zustand des vorliegenden Blattes ist kein Datum vorhanden, dafür ist der Bildvorder- und Hintergrund in der Kontur angelegt.
Das Blatt verdeutlicht das künstlerische Geschick und die völlige Beherrschung der Technik. Mit dem Grabstichel wird zuerst die Kontur der Darstellung angelegt. Es entsteht eine Art Hilfszeichnung, von der aus die genaue Bearbeitung erfolgt. Angelegte Linien können dabei nur schwer wieder entfernt werden. Die Darstellung wird von zeichnerischen Vorlagen seitenverkehrt in die Platte eingestochen. Diese, sich zum Teil erhaltenen Zeichnungen, sind vom Künstler seitenrichtig angelegt. In den sogenannten Probedrucken kann er die Wirkung seiner Bildidee an Hand des Druckes überprüfen. Neben diesem existiert u.a. noch eine „unfertige“ Kreuzigung von Goltzius, die allerdings keine Inschrift enthält.
Matham zeigt durch den halbfertigen Zustand der Platte die Meisterschaft seines Stiefvaters, sowohl in dem wirkungsvollen Schattenspiel, als auch in der zeichnerischen Anlage des Werkes. Deswegen sind vermutlich auch die Privilegiumszeilen, quasi als Überschrift, ins Bild gesetzt.
Katalog: Gott und die Welt. Niederländische Graphik des 16. Jahrhunderts aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen, Göttingen 2007, Nr. 8., Thorsten Henke
- Beschriftung / Aufdruck:
- Inschrift:
Cum privil. Sa. Cae. Mtis / HGoltzius Fecit / I. Matham excud.
Stamp:
Göttinger Bibliotheksstempel
- Maße / Umfang:
- Breite: 155 mm (Blattmaß)
Höhe: 205 mm (Blattmaß)
- Material:
- Papier
- Technik:
- Druckverfahren > Tiefdruck > Kupferstich
- Literatur:
- Beschrieben in:
„Gott & die Welt : niederländische Graphik des 16. Jahrhunderts aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen ; [Carsten-Peter Warncke zum 60. Geburtstag] ; [Kunstsammlung der Universität Göttingen, 10. Juni bis 8. Juli 2007, Emslandmuseum Schloß Clemenswerth, 2. September bis 31. Oktober 2007, Ostfriesisches Landesmuseum Emden, 17. Februar bis 30. März 2008]“. Cuvillier, Göttingen, 2007. (Nr. 8.)
Beschrieben in:
F. W. H. Hollstein, „Goltzius-Heemskerck. Dutch and Flemish etchings, engravings and woodcuts ; 8“. . (Hollstein Dutch and Flemish VIII.6.15 II)
Beschrieben in:
A. von Bartsch, „Le Peintre Graveur ; Troisième Volume“. De L'Imprimerie De J.V. Degen, A Vienne, 1803. (Bartsch III.16.21)
Literatur in Zusammenhang:
Aust. Kat. Meisterblätter von Hendrick Goltzius, hrsg. von Stephanie Stroh, Anne-Katrin Sors, Michael Thimann, Petersberg 2020.
- Weblinks:
- im Zusammenhang mit dem Objekt:
http://diglib.hab.de?grafik=24-1-geom-2f-00009
im Zusammenhang mit dem Objekt:
https://www.bildindex.de/document/obj35027572
- MD_UNIGOE_FOTO:
- Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der UniversitätNamensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.deKatharina Anna Haase2020-02-25record_kuniweb_1314094_media/record_kuniweb_1314094_699962.jpg0.0Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der UniversitätNamensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.deKatharina Anna Haase2020-02-25record_kuniweb_1314094_media/record_kuniweb_1314094_699963.jpg0.0Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der UniversitätNamensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.deColin Reiss2019-02-01record_kuniweb_1314094_media/record_kuniweb_1314094_611235.jpg0.0
- Datierung:
- ca. 1558 - 1617